FILMSAMSTAG

Filmsamstag am 25. November 2006

Babylon Mitte, Studiokino, Rosa Luxemburg Str.30, 10178 Berlin, 18 Uhr


Peter Nau zeigt Buñuel

Luis Buñuel: Cela s’appelle l’aurore

Das nennt sich Morgenröte
1955 35mm sw 102min Frankreich OmÜb
mit Georges Marchal, Lucia Bosé, Julien Bertheau,
Jean-Jacques Delbo, Gianni Esposito

Im November ist der Filmkritiker Peter Nau unser Gast.
Er zeigt Cela s’appelle l’aurore von Luis Buñuel, auf Korsika gedreht, nach einem Roman
von Emmanuel Roblès. Peter Nau und der Filmemacher Karl Heil sprechen über diesen Film.
Wir zeigen ihn in französischer Originalfassung mit von mir eingesprochener Übersetzung.

Bärbel Freund


Das Weib Narses: ... Wie nennt man das, wenn
der Tag anbricht wie heute, und alles geplündert
und verwüstet ist, und man dennoch die Luft
einatmet, wenn alles verloren ist, die Stadt brennt,
die Unschuldigen sich gegenseitig umbringen, die
Schuldigen aber im Sterben liegen, in einem Winkel
des anbrechenden Tages?
Der Bettler: Das hat einen sehr schönen Namen,
Weib des Narses. Das nennt sich Morgenröte.

Jean Giraudoux, Elektra



Luis Buñuel: Cela s’appelle l’aurore, 1955

Ansichten von einem pittoresken Mittelmeerhafen, Glockenläuten.

An der Seite des Polizeikommissars macht Valerio, der Arzt
der Insel (Georges Marchal), eine Autofahrt ins gebirgige
Landesinnere. Am Bett des vergewaltigten kleinen Mädchens, zu
dem sie gerufen wurden, begegnet er schicksalhaft Clara (Lucia
Bosé). Ihr schmales Gesicht, bleich und anmutig verschlossen,
ist von einmalig persönlichem Reiz. Durch ihr schwarzes apartes
Kleid, sowie eine dreifache lange Halskette mild schimmernder
Perlen kommt zudem etwas phantastisch Luxuriöses in ihre
Erscheinung, zumal in einer ländlich archaischen Umgebung.

Den Kommissar, vor dessen schwarzer Seele sich die erwiesene
Schuld des verrückten, in einen Hühnerpferch gesperrten
Vergewaltigers leuchtend abhebt, gibt Julien Bertheau (Comédie
Française) als weichlich brutalen Schöngeist. (Auf seinem
Schreibtisch im Kommissariat liegt neben einem Paar Handschellen
eine Ausgabe der Theaterstücke Claudels.) Ebenso wie sein
Pendant, der Fabrikherr und Gutsbesitzer Gorzone, trägt er stets,
auch im Sommer, zum Sakko passende Glacéhandschuhe. Das
Bedürfnis, zu bestrafen, wird bei ihm flagrant. Seinem Hang zum
Schnüffeln, zum Einbruch in Privatsphären, folgt er auch im Fall
des jungen Doktors und Claras: bei Buñuel zeigt das soziale
Unrecht am liebsten im Bereich nicht sanktionierter Sexualität
seine Zähne. Dabei ist der Regisseur immer zärtlich zu seinen
Monstern, man bewundert die sie verkörpernden Darsteller.

In der „Morgenröte“ nahm er sich, mit neorealistischem Touch,
der verlassensten Einzelnen an: Sandros, des rechtlosen
Landarbeiters, und Valerios, der Sandro in seinem Haus vor der
Polizei verbirgt. Einmal, wenn Valerio müde von seiner Arbeit in
die Wohnung von Clara kommt, nimmt er aus seiner Jackentasche
eine kleine Schildkröte und gibt sie ihr: „Ich habe sie unterwegs
aufgelesen, sie heißt Clara“.

Peter NAU


jesus in strom 300 skal.jpg
Cela s'appelle l'aurore


Dank an die Kunst- und Ausstellungshalle
der Bundesrepublik Deutschland, Bonn