FILMSAMSTAG

Filmsamstag am 15. Januar 2005

Babylon-Mitte, Studiokino, Rosa-Luxemburg-Str.30, 10178 Berlin, 20+22 Uhr


Bernd Upnmoor ist am 15.1.05 unser Gast. Er gehört zu den Filmmachern, die in den 60er
Jahren anfingen zu filmen, andere Filme zu machen, eine eigene Filmsprache zu erfinden.
Bernd Upnmoor ist Physiker, Filmmacher, Kameramann, Tonmann, Dozent, Autodidakt,
Mitbegründer der Hamburger Gruppe, die aus 15 Filmmachern bestand, zu der Costard,
Nekes, Dore O. gehörten. “1962 in Oberhausen: Das war mein erstes Filmfestival. Aber
die 'Oberhausener' machten nicht die Filme, die ich machen wollte. So ging es vielen, und
so entstand der Untergrundfilm. Ich war bei den Untergrundfilmern aber der Obergrund:
Ich machte meine Filme in 35mm für das Kino.” (Bernd Upnmoor)

Er hat von 1961 bis 1988 Filme gemacht. Seine Kurzfilme liefen auf vielen Festivals, einige
als Vorfilme in den Kinos, und oft erhielten sie das Prädikat 'besonders wertvoll', mit dessen
Prämie er den nächsten Film finanzieren konnte. Wir zeigen 8 seiner Filme in einem Doppel-
programm. 'Reisetagebuch' läuft zweimal: 'stumm' und 'mit Ton'. (Bärbel Freund)


20 Uhr
Die Anzeige 1969 9'26'' 35mm s/w
Unsere Ferienreise 1970 9'27'' 35mm Farbe
Für meine Freundin Boa 1971 9'16'' 35mm Farbe
Das Schiff im Eis 1963 5'28'' 35mm s/w
Es war, als hätt' der Himmel die Erde still geküsst, ... 1971-74 9'43'' 35mm Farbe
DOM 1971-80 9'14'' 35mm Farbe

22 Uhr
Kugeloberflächen zusammen mit Gisela Schanzenbach 1983-85 9'26'' 35mm Farbe
Reisetagebuch 1971-87 19'58'' 16mm Farbe stumm
Reisetagebuch 1988 19'58'' 16mm Farbe Ton


Ein e-mail-Gespräch zwischen
Bärbel Freund und Bernd Upnmoor

Lieber Bernd,
heute habe ich den Nachruf von Werner Nekes für Hellmuth Costard wieder gelesen.
Er schreibt: (...) Die kritische Intelligenz in Europa war begeistert von solch einem Kino,
das sich an die Sinne und an den Kopf wendet. Mit den Ausdrucksmitteln des experimen-
tellen und auch strukturellen Films formten sich Filmmacher-Kooperativen, die im Selbst-
verleih gegen den Schwachsinn des kommerziellen Kinos aufbegehrten, Costard wurde
zum Mitbegründer des 'Anderen Kinos', der Hamburger Filmmacher Kooperative und dem
Filmfestival des anderen Blicks, der 'Hamburger Filmschau'. Diese Organisationsformen
waren bis in die 80er Jahre ein wesentliches Artikulationsforum der deutschen Film-
geschichte. (...)

Du warst auch Mitbegründer der Hamburger Gruppe.

Die Hamburger Gruppe entstand aus zwei Keimzellen: Dem Arbeitskreis Film und Fern-
sehen, einer studentischen Vereinigung an der Universität Hamburg ab 1957, die Filme
für Studenten aufführte. Sie entstand aus einer Initiative Studentischer Rundfunk und
sollte 1957 vorbereiten, einen studentischen Sender zu betreiben: Das verlief im Sande.
Gründungsmitglieder waren Dietrich Kuhlbrodt, Ulrich Gregor, Hans-Jürgen Bersch und
Jürgen Hormann. Die zweite Keimzelle war die Hochschule für Bildende Künste HbK in
Hamburg, aus deren Zeichen- und Design-Klassen mehrere Studenten zum Arbeitskreis
hinzukamen. Außerdem hatte Helmut Herbst um etwa 1961 dort abgeschlossen und
machte seinen ersten Film, und Franz Winzentsen studierte dort und arbeitete mit ihm
zusammen. Beide wurden meine Lehrer für Trickkamera.
Wir Filmmacher brauchten eine Kamera, Schnitt- und Vertonmöglichkeiten und Studien-
zeit und konnten so für etwa 1.000 - 2.000 Mark pro 10 Minuten einen Schwarz-weiß-Film
herstellen. So wurde das die Filmhochschule für Autodidakten in Zeiten, in denen es schon
eine Filmhochschule in Paris, Rom und Madrid und eine in Babelsberg, Prag und Moskau
gab und bevor die westdeutschen Filmhochschulen entstanden.
Etwa 1969 wurde an der HbK eine Filmklasse (Institut für visuelle Kommunikation) unter
Leitung von Prof. Werner Nekes eröffnet, der mich 1971 zu seinem Assistenten machte.

'Die kritische Masse' – was ist das?

'Die kritische Masse' ist der Titel eines 90-Minuten Dokfilms über die ca. 15 Hamburger
Filmmacher von Christian Bau, der selbst von der HbK kam, 1999 fertiggestellt, ein Jahr
vor dem ersten Todesfall in 'unserer' Gruppe (Hellmuth Costard 12.6.00), die eigentlich
keine Gruppe war, sondern eher aus einzelnen Filmmachern bestand, die ab und zu bei
Projekten zusammenarbeiteten und die gemeinsame Interessen hatten.
Das Wort 'Kritische Masse' stammt von Klaus Wyborny, auch Physiker, der diesen kern-
physikalischen Begriff anwandte auf eine Mindestmenge von Menschen, unter der eine
produktive Filmarbeit nicht sinnvoll und effektiv ist. Wir waren etwa 15, die sich gegen-
seitig unterstützten mit Kameras, Mitarbeit und gemeinsamen Gesprächen. So starteten
wir als noch nicht überkritische Masse, sondern gerade an der Grenze der Überlebens-
fähigkeit und blieben eigentlich alle an der Filmkasse erfolglos. Der Doppelsinn des
Wortes 'Kritisch' für unsere Gruppe gefällt mir.

Du bist Physiker und Filmmacher. 1961 hast du deinen ersten Film 'Baustelle' gemacht.

Ich studierte in Hamburg Physik von 1959 bis 1967. 1959, am 10.5.59, zu Beginn des
Sommersemesters, sah ich im Arbeitskreis Film in der ersten Vorstellung des Semesters
den Film 'Panzerkreuzer Potjomkin' und war seitdem Mitglied im Arbeitskreis.
1960 wurde das Auditorium Maximum fertiggestellt mit 2000 Plätzen, in dem wir Filme
zeigen konnten für 0,50 DM pro Platz. Daraus entwickelte sich der Reichtum: Wir hatten
einen Siemens 2000 16mm-Projektor mit Magnetton-Randspur und Cord-Zweiband-
Aufnahme und eine Arri 16ST.
Am 18.1.1961 hatte ich den Film 'Zazie' von Louis Malle gesehen, der mir gezeigt hatte,
dass das Filmmachen ein Weg zur Freiheit ist. So wollte ich ab dann Filmmacher werden.
Mit der Gebrauchsanleitung für die Kamera und 240m Schwarzweiß-Negativ begann ich
1961 im Sommer einen 13-Minuten-Film zu drehen: 'Baustelle'. Auf dem Projektor ver-
tonte ich die geschnittenen Randspur-Bildmuster des Films mit Musik von meinem
eigenen Tonbandgerät - ein sehr mühseliger Prozess. Aber der Film wurde fertig und
in dem einen Original der Randspur-Bildmuster zwei Wochen nach der Hamburger
Sturmflutkatastrophe aufgeführt (Die Magnetton-Randspur auf der Kopie verzögerte
sich dadurch um eine Woche.) Das Negativ blieb ungeschnitten. Der Film liegt in Berlin
im Archiv, ist aber heute nicht mehr vorführbar. Danach kamen Adolf Bollmann und
Sigrun Koeppe, zwei Filmmacher, 1962 zum Arbeitskreis und organisierten dort Seminare
für Filmanalyse, Filmkritik, Kamera, Schnitt, Ton, etc. Über die Veranstaltungen kam das
Geld für diese erste frühe Film-'Hoch'-Schule für Autodidakten herein. So entstand als
Schnittübung 'Das Schiff im Eis' 1963.
Danach drehte ich mit 720m Tri-X-Negativ, das mir Hellmuth Costard schenkte, den Film
'Ballettprobe' 1964 vollständig allein, um zu testen, ob das möglich ist (inklusive eigener
Negativentwicklung): Es ist möglich: Kamera, Ton, Schnitt, Negativschnitt,... für einen
Dokfilm.
Danach schrieb ich meine Diplomarbeit, um mein Studium abzuschließen, und arbeitete
dann als freier Filmmacher und machte viele Filme so, wie nur ein Physiker, bzw. ein
technisch versierter Wissenschaftler sie drehen konnte. Um sie zu sehen, musste ich
sie selbst drehen. Das sind meine 'Experimental'-Filme.

Wie gehst du mit den Begriffen: experimentell, Experimental-Film um?

'Experimentell' ist eines von wenigen (3) Genres des Films: Wenn ein Film weder Dok-
noch Spielfilm ist, dann ist er 'Experimentalfilm'. Die Klassifikationen mögen für Sparten-
programme sinnvoll sein, sonst sind sie unsinnig. Aber wie soll man Menschen, die
gerade schon Spielfilme kennen, erklären, was sie erwartet? 'Etwas anderes' als das
schon Gesehene ist eben 'experimentell'. Für mich privat heißt 'ex-per-ire', lateinisch,
'hindurch (per) und darüber hinaus (ex) gehen (ire)', und das heißt 'Erfahrungen machen'.
Ein Experiment macht u.a. auch ein Physiker, um Erfahrungen zu erlangen, Wissen über
die Wirklichkeit. Und genau das haben meine Filme mir gebracht. Hätte ich Spartenfilme
gemacht, hätte vielleicht die Kasse stimmen können, aber keinesfalls der Sinn meines
Lebens.

Viele deiner Filme konntest du mit den Prämien für das Prädikat 'besonders wertvoll'
finanzieren.

1972 erhielt ich mein erstes 'besonders wertvoll' für 'Unsere Ferienreise', einen Spielfilm in
35mm, der vorgibt, ein S8mm-Amateurfilm zu sein. Ich drehte ihn zu zweit in einem VW-
Käfer auf einer fünftägigen Reise von Hamburg nach Jugoslawien, nachdem ich vorher ein
halbes Jahr Tests zu den Problemen durchgeführt hatte.
Ich habe insgesamt 5mal dieses Prädikat erhalten. Mit 7.500,-DM Lizenzgebühr für einen
prädikatisierten Vorfilm für das Kino, mit Arbeiten für andere Filmmacher und mit diesen
5 Prädikaten lebte ich rund 21 Jahre, bis ich genug hatte.

1988 hast du deinen 'Abschluss'film 'Reisetagebuch' gemacht. Du hast aber als Kameramann weitergearbeitet.

1972 empfahl Nekes mich an Rosa von Praunheim, für den ich drei Filme als Kameramann
machte: 'Die Bettwurst', sein Durchbruch, 'Die Berliner Bettwurst' und 'Axel von Auersperg',
zwei Flops.
Für Bollmann/Koeppe drehte ich viele Jahre meistens als Tonmann, manchmal als Kamera-
mann, manchmal als Cutter hauptsächlich für das Fernsehen.
Für Werner Nekes drehte ich alle seine 35mm-Filme als Kameramann und auch 'Johnnie Flash'
in 16mm. Die schwierigen Aufgaben, die er mir stellte, haben mir sehr große Freude bereitet.
Für Hellmuth Costard drehte ich 'Der kleine Godard', 1977 als 'erster Kameramann' von vier
S8-Kameras mit Blimp, Ton, Funk-Fernauslösung, Glasfasermattscheibe und Quarzsteuerung.
1994 holte mich Hellmuth wieder für seinen 'Abschlussfilm' 'Vladimir Günstig', an dem wir
6 Jahre drehten, oft als Zwei-Mann-Team, mit ihm als Hauptdarsteller und Regisseur vor der
Kamera und ich ganz allein dahinter - für einen Spielfilm eine schwierige Herausforderung.
Zusätzlich arbeitete ich bei ihm als Physiker, um die Sun-Machine, den zweiten Hauptdarsteller,
mit zu designen. Nach seinem Tod machte ich den Film als Bildregisseur fertig.

Haben deine Filme alle Ton? 'Reisetagebuch' möchtest du stumm vorführen, dann mit Ton.

Alle meine Filme haben Ton. 'Reisetagebuch' hatte ich 1971 gedreht mit einer Arri 16St auf
einer Reise durch Europa zu Filmfestivals in Frankreich und Spanien. Mein Aufnahmeprinzip
war: Ich nehme alles auf, was mich aus dem Autofenster am meisten fasziniert, und zwar so,
wie ich meine, dass es optimiert ist, und für so lange, wie mir mein Gespür sagt, dass es im
Kino trägt. Ein Drehbuch gab es nicht. (...)Danach lag das Material 14 Jahre. Ich sah es mir
jedes Jahr einmal auf meinem Schneidetisch an und fand keinen Weg, es zu montieren. So
sah ich es immer stumm: Ich fand es schön, wußte aber nicht, was seine 'Bedeutung' war...
"Nie wieder ohne Drehbuch!" dachte ich ab und zu. Als ich 1986 aufhören wollte, Filme zu
machen, weil ich mich nicht verschulden wollte und weil ich seit 1975 keinen Film mehr ver-
kaufen konnte, weil ich mir den Luxus dieses Hobbys also nicht mehr leisten konnte, machte
ich mich wieder dran. Da entstand die Idee, die Bilder als Gleichnisse für philosophische
Gegebenheiten anzusehen. Ab dann brauchte ich fast keine Einstellung umzustellen. Ich
nahm alle Einstellungen in ihrer vollen Länge, schnitt nur die Blitzer vom Kamerastart
heraus, und der Film war fertig. (...)