FILMSAMSTAG

Filmsamstag am 18. Dezember 2004

Filmkunsthaus Babylon, Studiokino, 20 Uhr


PASTORALI (UdSSR 1975-76, 35mm, s/w, 95 Minuten) OmU
R: Otar Iosseliani B: Rezo Inaschwili, Otar Mechrischwili, Otar Iosseliani K: Abessalom Majsneradse D: Rezo Tsariahalachwili, Lia Tokkadse-Djoegueli, Marina Kartzevadse, Tamara Goeabarachwili

Am 18. Dezember ist der Publizist und Filmologe Jürgen Ebert unser Gast (eingeladen von Johannes Beringer). Zu dem von ihm ausgewählten Film Pastorale von Otar Iosseliani schreibt er:

"Pastorale habe ich nur einmal gesehen, vor mehr als zehn Jahren (im Kino, nicht im Fernsehen), und
da der Film einen bleibenden Eindruck hinterliess (ohne dass ich heute sagen könnte, durch welche Bilder, durch welche besonderen Szenen eigentlich), bin ich neugierig, ihn einmal wiederzusehen.
Es gibt manchmal Filme, an die man sich nicht genau erinnert, die aber dennoch ins eigene Bewusst-
sein übergegangen sind und dort mehr virtuell als visuell fortleben, aus einer unerwarteten flüchtigen Begegnung heraus, deren Ereignishaftigkeit klar ist, an der man aber nicht unbedingt festhalten und deren Bedeutung man nicht nachforschen muss, weil sie jederzeit wie eine Saat neu aufgehen kann.
In Erinnerung ist mir von Pastorale lediglich etwas Formales, die schwebende Situation, die sich aus
dem Besuch einiger Musikstudenten (ein Streichquartett, wenn ich mich nicht täusche, und koedukativ besetzt) in einem Dorf ergibt, wo sie sich in der ländlichen Abgeschiedenheit auf ein Konzert vorbereiten wollen.
Bei Iosseliani gibt es keine sogenannte erzählende Schnittdramaturgie, nur das Netz der Einstellungs-
folgen, in denen sich die gegensätzlichen Sichtweisen Stadt - Land, Kultur - Natur, das Fremdsein und
die Nähe, kurz: der Film und die gelebte Gegenwart gegenseitig durchkreuzen, ohne sich je ganz aufzuheben. Die poetische Dichte des Films entsteht unmittelbar aus der durchgehaltenen Spannung zwischen der Dauer der reinen Aufzeichnung und den Zufallsereignissen plötzlicher Enthüllungen, die an die Rätsel des Daseins rühren.
Nach Bazin gibt es Regisseure, die ans Bild, und solche, die ans Leben glauben. Eine dritte Möglichkeit, eine 'Mischung' oder eine 'Dialektik' beider Tendenzen ist filmsprachlich ausgeschlossen. Und doch scheint es, von der Leinwand her gesehen, als führe die unumgängliche Entscheidung, entweder den einen oder den anderen Weg zu wählen, unweigerlich zu einer Koinzidenz der Gegensätze."

Otar Iosseliani, geb. 1934, studierte Klavier und Komposition am Konservatorium in Tiflis und Mathe-
matik an der Universität Moskau. 1958 - 61 Studium an der Moskauer Filmhochschule (Regiekurs bei Dowshenko), beeinflusst von klassischen Stummfilmen, Vigo, Renoir und den italienischen Neorealisten.