FILMSAMSTAG

Filmsamstag am 13. April 2002

Filmkunsthaus Babylon, Studiokino


Vier Kurzfilme, vorgestellt von Rüdiger Tomczak (Filmzeitschrift shomingeki)

EIN FILM ÜBER DEN ARBEITER von Stefan Hayn, D: 1997/98, Farbe und schwarzweiß, 16 mm, 18 Min.
Das ist ein ungewöhnlich dichter und vielschichtiger Film. "Ein Film über den Arbeiter" ist gleichzeitig die genaue Beschreibung einer Gesellschaft, in der fast alle Formen von Arbeit entfremdet und durch den Gedanken der kapitalistischen Produktion korrumpiert sind, eine kleine Einführung in die Rolle des Arbeiters in der Filmgeschichte und nicht zuletzt auch eine bewegende autobiographische Erzählung. Die Bilder dagegen sind zurückgenommen und rufen eher hervor als daß sie plakativ etwas illustrieren. Das ist ein Blick auf die entfremdete Welt der Arbeit, der vergleichbar ist mit dem von Ozus "Hitori Musuko" (Der einzige Sohn, 1936) oder Peter Nestlers "Ein Arbeiterclub in Sheffield".

LES MAINS NÉGATIVES von Marguerite Duras, F: 1979, Farbe, 16 mm, 14 Min.
Eine Autofahrt durch die morgendlichen Straßen von Paris. Ohne Originalton, nur von Musik begleitet rezitiert Marguerite Duras ihren Text über das imaginäre Schicksal eines Höhlenmenschen, der vor 30000 Jahren den Abdruck seiner Hände hinterlassen hat. Während die Bilder der Stadt wie im Traum vorübergleiten, erzählt der Text von einer Identität, die auf das Wesentliche reduziert ist: Angst, Einsamkeit, der Schrei nach Liebe. Obwohl jedes Wort wie in einem Gedicht oder eine Einstellung in einem Film gesetzt ist, entstand ein Film von ergreifender Zartheit.

ZWISCHENZEIT von Anja-Christin Remmert, D: 1995, Farbe, schwarzweiß, 16 mm, 25 Min.
Leipzig nur wenige Jahre nach der Wende: Die Stadt scheint fast nur aus Ruinen von verfallenen oder entkernten Häusern zu bestehen. Es ist eine Stadt "zwischen den Zeiten", ein Ort, der im Begriff ist, sich zu verändern und in dem man seinen Platz in der Welt neu definieren muß. Neben diesen Bildern, die "das Antlitz der Zeit wie in einem Bernstein bewahren" (Winfried Junge) steht der persönliche Kommentar von Anja-Christin Remmert und die Gespräche mit ihren Freunden, die fragend nach Orientierung tasten. "Zwischenzeit" ist so authentisch und bewegend wie der Abdruck der Hände des Höhlenmenschen, von dem Duras in "Les Mains négatives" erzählt.

EIN TAG JEDEN TAG von Shaheen Dill-Riaz, Bangladesh: 1995, Farbe, Video, 19 Min.
Dieser kleine, mit bescheidenen Mitteln gedrehte erste Filmversuch ist weit mehr als ein Beitrag, mit dem sich Dill-Riaz einst für einen Studienplatz an der Filmhochschule "Konrad Wolf" bewarb. Es geht um den Alltag einer jungen Frau in einem bengalischen Dorf. Ein Tagesablauf, der nur aus scheinbar nebensächlichen Dingen besteht und der in seiner liebevollen Aufmerksamkeit für alltägliche Ereignisse wohl nur in Asien entstehen konnte. Gerade in seiner Unbefangenheit und in seiner Intuition weckt der Film in mir nicht nur Gedanken an Dill-Riaz letzten (noch unaufgeführten) Film "Sand und Wasser", sondern auch an die naive Poesie des Vietnamesen Dang Nhat Minh (Sehnsucht nach der Landschaft, 1996) oder an die von Harriet selbst erfundene Geschichte in Renoirs Meisterwerk "The River".
Rüdiger Tomczak